« Irgendwie ist doch da mal jemand geköpft worden ». Didaktische Rekonstruktion der Französischen Revolution und der historischen Kategorie Wandel – MATHIS (DH)

MATHIS, Christian. « Irgendwie ist doch da mal jemand geköpft worden ». Didaktische Rekonstruktion der Französischen Revolution und der historischen Kategorie Wandel. Baltmannsweiler: [S.n], 2015. Resenha de: ZIMMERMANN, Nora. Didactica Historica – Revue Suisse pour l’Enseignement de l’Histoire, Neuchâtel, v.2, p.179-180, 2016.

Vorbei ist die Zeit, in der Historikerinnen und Historiker ob der Darstellung von Umwälzun­gen und Umstürzen in Streit gerieten: « Die Rede von der Revolution ist beliebig geworden, niemand träumt mehr von ihr, niemand aber auch fürchtet sie noch. »1 Gerade deshalb ist – wie Autor Christian Mathis richtig feststellt – die Auseinandersetzung mit der Französischen Revolution ein schwieriges Unterfangen geworden (S. 44).

Bemerkenswert ist die eingangs gemachte Feststellung, dass Schülerinnen und Schüler, obwohl die Französische Revolution fast überall auf der Welt in der Schule vermittelt wird, jeweils Unter­schiedliches lernen. Mathis begründet dies vor allem mit der « Bedeutung der Französischen Revo­lution für ihre nationalen Biographien »2.

Ein besseres Verständnis von Schülervorwissen fördert gleichsam das (historische) Lernen und ermöglicht eine adäquate Lehrplan- und Curriculums-Gestaltung. Ausgehend von dieser Annahme gilt Mathis’ Forschungsinteresse den Vorstellungen, die Schülerinnen und Schülern von der Französischen Revolution haben. Hierzu befragte er Schülerinnen und Schüler der neun­ten Klasse einer Schweizer Mittelschule. Mittels Triangulation von Leitfadeninterview, Erzählung und Gruppenverfahren sollte aufgezeigt werden, über welche Konzepte, Schemata und mentale Modelle Jugendliche im Hinblick auf die Fran­zösische Revolution verfügen. In einem zweiten Schritt wurden diese Schülervorstellungen zur historischen Kategorie « Wandel » in Beziehung gesetzt und nach deren Rolle beim historischen Denken über die Französische Revolution gefragt.

Nach der Einleitung und der theoretischen Rah­mung der Studie folgen in Kapitel 3 erste lern­psychologische Ausführungen zur Theorie des « conceptual change », die auf Piaget basieren. Im Zentrum des darauffolgenden Kapitels stehen dann die Schülervorstellungen aus kognitions- und lernpsychologischer Sicht. Ausgehend von diesem Theoriemodell schlägt Mathis für seine Studie ein viergliedriges Modell vor: Schülervorstellungen sind demnach erstens « mentale Konstrukte, die beim Denken und Sprechen über Geschichte und Vergangenheit konstruiert, abgerufen und evoziert werden », zweitens « jene Wissensbestände (Begriffe, Konzepte und Erklärungsmuster), welche die Schüle­rinnen und Schüler “heranziehen”, wenn sie konkrete historische Sachverhalte, Phänomene oder Gegen­stände erklären und interpretieren », und welche sich – drittens – « im Alltag bewährt haben ». « Diese können » – viertens – « mehr oder weniger wissen­schaftsadäquat sein. » (S. 32).

Das fünfte Kapitel präsentiert einen konzis zusammengefassten Abschnitt über Standpunkte, Denkmodelle und Vorstellungen der historischen Fachwissenschaft zur Französischen Revolution. Ausführlich setzt sich Mathis dabei auch mit der sowohl gleichermassen für die Geschichtsschrei­bung wie auch für die Didaktik massgebenden Kategorie des historischen Wandels auseinander. Es folgt ein ebenso ausführlicher Methodenteil im sechsten Kapitel, in dem der Autor bereits vieler­orts ausgeführte Theoriemodelle und Überlegun­gen der empirischen Geschichtsdidaktik ausgiebig erläutert. Hier hätte sich der Leser eine kürzere und pointiertere Darstellung gewünscht.

Im Hauptteil, Kapitel 7, präsentiert Mathis die empirischen Ergebnisse seiner Untersuchung. Dabei differenziert er die Aussagen der Schülerin­nen und Schüler zu ihren Vorstellungen zur Fran­zösischen Revolution in folgende vier Aspekte: 1. Gründe und Ursachen, 2. (Aus-)Wirkungen und Errungenschaften, 3. historische Akteure und 4. zeitlicher Verlauf und Vorstellungen von Wandel und Kontinuität. In seinem immer wieder mit aus­führlichen Interviewausschnitten ergänzten und mit Hinweisen zur didaktischen Rekonstruktion versehenen Ergebnisteil präsentiert Mathis nicht nur aufschlussreiche Erkenntnisse zu Schülervor­stellungen, sondern bietet auch einen spannenden Einblick in die geführten Interviews. Mathis prä­sentiert dabei eine detailreiche, sauber erarbeitete Analyse der Schüleraussagen und ermöglicht auf diese Weise gleichsam einen transparenten Ein­blick in sein Auswertungsverfahren. So beobach­tet er beispielsweise, dass die Schülerinnen und Schüler, was die Ursachen der Französischen Revo­lution anbelangt, primär ökonomische Gründe anführen, diese jedoch, wenn es um Auswirkun­gen der Revolution geht, nur selten erwähnen. Vielmehr nennen die Befragten u. a. die Men­schenrechte als die in ihren Augen bedeutendste Errungenschaft der Revolution. Ausgehend von den analysierten Schülervorstellungen formuliert Mathis im abschliessenden achten Kapitel fünf Leitlinien für einen « sinnvollen, lernförderlichen » (S. 212) und wissenschaftsadäquaten Umgang mit der Französischen Revolution im Unterricht der Sekundarstufen I und II.

Der vorliegende Band bietet Geschichtsdidakti­kerInnen, Lehrpersonen sowie HistorikerInnen gleichermassen Interessantes. Er ist ein anregendes Beispiel für ein theoriegeleitetes Erhebungs- und Auswertungsverfahren von Schülerinterviews, liefert lehrreiche und praxisnahe Inputs zur didaktischen Strukturierung der Französischen Revolution als Thema im Geschichtsunterricht sowie eine detailreiche, fachliche Einbettung des Themas entlang historiographischer und geschichtstheoretischer Fragen. Gerade weil die Französische Revolution ein (fast) überall gelehr­tes Thema ist und viele aus der angesprochenen Leserschaft das Thema – das fester Bestandteil der hiesigen Lehrpläne ist – selbst vermitteln, empfiehlt sich die Lektüre. Vielleicht verdankt das Buch seine künftigen Leserinnen und Leser auch schlicht der « magische[n] Anziehungskraft » von Revolutionen, « deren man sich nur schwer entziehen » kann3.

[Notas]

1 Engels Jens Ivo, « Kontinuitäten, Brüche, Traditionen. Die Französische Revolution von 1789 », in Müller Klaus E. (Hg.), Historische Wendeprozesse. Ideen, die Geschichte machten, Freiburg, Basel, Wien, 2003, zit. nach Mathis Christian: « Irgendwie ist doch da mal jemand geköpft worden », Didaktische Rekonstruktion der Französischen Revolution und der historischen Kategorie Wandel, Baltmannsweiler, 2015, S. 44.

2 Riemenschneider R. (Hg.), Bilder einer Revolution. Die Französische Revolution in den Geschichtsschulbüchern der Welt, Frankfurt am Main, 1994, zit. nach Mathis, Christian …, S. 8.

3 Rohlfes Joachim, Geschichte und ihre Didaktik, Göttingen, 2005, zit. nach Mathis Christian …, S. 45.

Nora Zimmermann – PH Luzern.

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