Urteilsbildung im Politikunterricht. Ein multimediales Projekt – KUHN; GLOE (JESSE)

KUHN, Hans-Werner; GLOE, Markus. Urteilsbildung im Politikunterricht. Ein multimediales Projekt. (Buch, Video, CD). Schwalbach/Ts: 2002. Resenha de: RETZMANN, Thomas. Urteilsbildung im Politikunterricht. Journal of Social Science Education, v.3, n.2, p.143-146, 2004.

In fachdidaktischen Lehrveranstaltungen an der Hochschule oder im Studienseminar – aber auch in der Lehrerfortbildung – steht man als Dozent immer wieder vor dem Problem, dass die Vermittlung didaktischer Modelle ohne entsprechendes Anschauungsmaterial leicht als bloße Theorie interpretiert wird. Dies gilt besonders dann, wenn die Studierenden über keinerlei Anschauung von (Fach-) Unterricht aus der Perspektive des Lehrenden verfügen. Es besteht die Gefahr, dass sie sich träges Wissen aneignen, welches bei der eigenen Unterrichtspraxis nicht handlungsleitend ist.

Um es in einem Satz gleich vorweg zu sagen: Mit dem vorliegenden Medienpaket aus Buch, Video und CD-ROM kann dieses Anschauungsproblem fachdidaktischer Lehre überwunden werden.

Beschreibung des Medienpakets Im Buch wird das Konzept des Politikzyklus‘ als Modell für die Sachanalyse des Politikunterrichts vom Autor Hans-Werner Kuhn (Professor für Politische Bildung/Sachunterricht an der Pädagogischen Hochschule Freiburg) systematisch entfaltet. Gleiches gilt für das Lernziel der politischen Urteilsfähigkeit. Verschiedene AutorInnen wenden das Analysemodell auf ein Beispiel an: die seinerzeit politisch umstrittene Auslieferung des in England inhaftierten ehemaligen chilenischen Diktators Augusto Pinochet an Spanien. Schließlich enthält das Buch noch die Transskripte zweier Unterrichtsstunden in zwei neunten Klassen eines Berliner Gymnasiums.

Der Autor gibt eine fachdidaktische Interpretation von Schlüsselszenen des Unterrichts. Erwähnenswert ist der Abdruck von drei Interviews, die der Autor mit Fachdidaktikern aus der ersten und zweiten Phase der Lehrerbildung geführt hat. Das Buch schließt mit zwei Beiträgen von Hans-Werner Kuhn, in denen er professionelle politische Urteile in Tageszeitungen sowie fünf Unterrichtsstrategien (Metakommunikation, Professionelle Urteile, Karikatur, Planspiel, Pro-Contra-Debatte) erörtert.

Das vierstündige Videoband führt die beiden Unterrichtsstunden vor (sowohl geschnitten als auch komplett) und veranschaulicht somit die unterrichtlichen Auswirkungen der spezifischen Vorgehensweise (Politikzyklus) bei der Sachanalyse des Unterrichtsgegenstandes (Entscheidung über das Auslieferungsersuchen der spanischen Behörden).

Zudem enthält das Video die drei o. g. Interviews zu mehreren Fragekomplexen (“Guter” Politikunterricht, Unterrichtsstrategien, Lehrerausbildung, Bürgerleitbilder, Sozialisation, Unterrichtsanalyse usw.).

Die CD-ROM ergänzt diese Medienkombination um eine Lernumgebung mit interaktiven und multimedialen Elementen. Die Autoren dokumentieren zunächst den Unterricht, unter anderem durch Skizzen zu Unterrichtsplanung und -verlauf sowie anhand ausgewählter Audio-/Videosequenzen.

Vor allem bieten sie aber sechs verschiedene Lernwege an, um sich die Inhalte zu erschließen: den deduktiven, induktiven, symbolischen, mehrperspektivischen, handlungsorientierten und den genetischen Lernweg. Jeder Lernweg kombiniert die vorhandenen Medien in einer einzigartigen Form. Darüber hinaus enthält die CD-ROM eine Einführung in die o. g. Unterrichtsstrategien sowie einen Materialpool mit Arbeitsblättern, Verlaufsschemata, Karikaturen, Checklisten usw.

Bewertung des Medienpakets Die verschiedenen Medien wurden von den Autoren inhaltlich gut aufeinander abgestimmt. Ihre Kombination nutzt die spezifische Vorteile des jeweiligen Mediums.

Für sich genommen würde das Buch zwar viel Anregendes, wenn auch wenig Aufregendes bieten. Stünde es jedoch für sich allein, so könnte der Kommentar auch lauten: Noch ein Buch über den Politikzyklus und noch ein Anwendungsbeispiel! Denn: Das Modell für die Sachanalyse des politischen Unterrichts ist bereits vielfach publiziert und – vom selben Autorenteam – auf andere Anwendungsbeispiele appliziert worden, z. B. auf das Unterrichtsthema “Castor-Transport”. Erst durch die Kombination mit dem Videoband und der CD-ROM erhält das Buch seinen wahren Wert für die fachdidaktische Lehrer(aus)bildung.

Durch die Wiedergabe der beiden Unterrichtsstunden per Video werden die unterrichtspraktischen Auswirkungen des fachdidaktischen Modells auch für lehr-unerfahrene Studierende greifbar. Das Anschauungsproblem der Fachdidaktik in der Hochschulausbildung ist gelöst. Zu dieser Medienkombination ist zwar zu sagen, dass der technische Fortschritt das Medium des Videobandes schon in naher Zukunft entbehrlich machen wird, da dessen analoge Information schon heute in digitaler Form auf DVDs untergebracht werden kann. Dies käme auch der Bedienerfreundlichkeit des Medienpakets zugute. Solange DVD-Laufwerke in Heimcomputern noch nicht die nötige Verbreitung haben, hat diese Dreiheit jedoch ihr gutes Recht. Zu den enthaltenen Interviews ist eine positive und eine kritische Anmerkung zu machen. Positiv ist, dass der Inhalt der Interviews im Buch abgedruckt und als Datei auf der CD-ROM enthalten ist. Während im Buch das gesamte Interview mit einem Interviewpartner in der Sequenz nachgelesen werden kann, sind die Interviews auf dem Videoband gemäß der Fragenkomplexe geschnitten. Das eröffnet prinzipiell die Möglichkeit, drei verschiedene Statements zu einem Diskussionspunkt nacheinander zu hören und ggf. zu vergleichen. Doch die gute Idee wurde zum Teil schlecht umgesetzt. Mit Antworten, die im Extremfall ganze 25 Minuten dauern, wurde diese Chance vertan.

Das Herzstück dieses Medienpakets stellt die CD-ROM dar. “Multimedial” und “interaktiv” – das sind zwei Eigenschaften dieses Mediums, die nicht eigens hervorgehoben werden müssen, weil sie selbstverständlich sind.

Positiv hervorzuheben ist jedoch, wie diese Interaktivität erzielt wurde. Die Auswahlmöglichkeit unter sechs verschiedenen Lernwegen ermöglicht eine Selbststeuerung des Lernprozesses, wie sie mit der Rezeption von Buch und Video nicht gegeben ist. Wohl kaum ein Studierender wird alle sechs Lernwege benötigen, um das fachdidaktische Ziel zu erreichen. Dennoch macht es Sinn, dass die Zielgruppe alle sechs Lernwege vollständig durchschreitet, denn dadurch erwirbt sie fachdidaktische Kenntnisse über sinnvolle Variationen der Lehr-Lern-Sequenz. Es wird deutlich, welches didaktische Variationspotenzial die Sequenzierung der Lerninhalte in der Hand des Lehrers darstellt, der sein Fach meisterlich beherrscht.

Gegenstand der Kritik wird bei vielen Nutzern sicherlich die laienhafte grafische Oberfläche sein, ebenso die gelegentlich störenden, Effekt erhaschenden Animationen.

Man kann – zu guter Letzt – darüber streiten, ob der Politikzyklus das alleinige Schema der Sachanalyse – und damit auch die Planungsgrundlage des Politikunterrichts – sein kann oder zumindest das bevorzugte Schema dafür sein sollte. In Bundesländern, in denen der Politikunterricht sozialwissenschaftlich geprägt ist oder in denen eine gleichberechtigte Kombination von Ökonomie- und Politikunterricht unter dem Dach eines Faches politisch gewollt ist, wird man diese Frage aufwerfen – und vermutlich verneinen – müssen. Doch auch derjenige Fachdidaktiker, der aus guten Gründen ein anderes Modell der Sachanalyse favorisiert, steht – wenn er seinen Studierenden die Möglichkeiten und Grenzen dieses Modells nicht verschweigen, sondern aufzeigen möchte – vor dem eingangs ausgeführten Anschauungsproblem. Kritische Bewertungen der fachdidaktischen Positionen, die in Buch, Video und CD-ROM vertreten werden, stehen jedem Anwender frei.

Fazit: Wer über die laienhafte grafische Gestaltung der “Screens” hinweg sehen kann und mehr Wert auf die fachdidaktische Tiefenstruktur denn auf die optische Lernoberfläche legt, der hält mit diesem “Bundle” aus der “Feder” eines erfahrenen Hochschullehrers einen fachdidaktischen Schatz in der Hand, wie er in dieser Form einmalig ist und Nachahmer finden sollte.

Das Medienpaket kann daher jedem angehenden oder praktizierenden politischen Bildner uneingeschränkt empfohlen werden.

Thomas Retzmann

Acessar publicação original

[IF]

Geschlechterperspektiven in der Fachdidaktik – HOPPE et al (JESSE)

HOPPE, Heidrun; KAMPSHOFF, Marita; NYSSEN, Elke, Hg. Geschlechterperspektiven in der Fachdidaktik. Weinheim, Basel: Beltz Wissenschaft Deutscher Studienbuch Verlag (Einführung in die pädagogische Frauenforschung; Bd. 5), 2001. 240 S. Resenha de: LIEBSCH, Katharina. Journal of Social Science Education, v.2, 2003.

Die Frauen- und Geschlechterforschung bemüht sich seit Jahren um die Verbreitung der Einsicht, dass “Geschlecht” sowohl eine grundlegende sozialstrukturelle Kategorie als auch eine zentrale Dimension im Prozess der sozialen Konstruktion von Gemeinschaften und Gesellschaft ist. Folgt man dieser Einschätzung, dann ist es geradezu zwangsläufig, dass auch die Reflexion von Lehren und Lernen sowie deren Planung und Steuerung ein Verständnis von “Geschlecht” braucht. Dazu gehört auch, so lautet die Ausgangsannahme des von Heidrun Hoppe, Elke Nyssen und Marita Kampshoff (alle Universität Essen) herausgegebenen Aufsatz-Bandes, eine Erweiterung der kritischen Betrachtung von Koedukation um Fragen der Allgemeinen Didaktik sowie der Fach-Didaktiken der sozialwissenschaftlichen und sprachlichen Unterrichtsfächer.

Unter dem Titel “Geschlechterperspektiven in der Fachdidaktik” veranschaulichen vierzehn Autorinnen, dass Gegenstände, Methoden und Gestaltungsformen schulischen Unterrichts in Abhängigkeit von gesellschaftlichen Entwicklungen, der Veränderung von Lebenswelten und dem sich wandelnden Verständnis von Bildung in der Gesellschaft eingesetzt und bewertet werden. Eine theoretisch-systematische Reflexion von Fragen der Technikentwicklung, der Globalisierungsfolgen genauso wie der Veränderungen des gesellschaftlichen Geschlechterverhältnisses gehört deshalb zu den Ausgangspunkten jeder didaktischen Überlegung. Darüber hinaus, so das Credo der Herausgeberinnen, sollte es – sowohl auf der Ebene der curricularen Inhalte als auch hinsichtlich der jeweils spezifischen Lernbedingungen von Schülerinnen und Schülern – ein zentrales Anliegen von Didaktik sein, “die Beziehung zwischen Inhalten und Subjekten wissenschaftlich differenziert zu untersuchen und in praxiswirksame Modelle zu integrieren” (S. 236). Diese doppelte Perspektive von Inhalten einerseits und Bedingungen und Möglichkeit der Inhaltsvermittlung andererseits suchen die Herausgeberinnen aus einer geschlechts- und subjektorientierten Perspektive systematisch zu stärken. Erst, so lautet ihre These, wenn Fachdidaktiken sich konsequent an den Subjekten von Schule und Unterricht, nämlich an den Schülerinnen und Schülern und die Lehrerinnen und Lehrern, orientiert, kann die didaktische Frage beantwortet werden, wie Fachunterricht arrangiert sein muss, damit seine Inhalte mit den Vorerfahrungen und Kompetenzen der Beteiligten zusammen gebracht werden kann. Dazu braucht es einerseits ein Curriculum, das das kulturelle und soziale System der Zweigeschlechtlichkeit reflektiert und die Reflexion und Überwindung ungleicher Machtkonstellationen zum (Lern-)Ziel macht. Andererseits müssen geschlechtsdifferente Interessen, Erfahrungen und Sozialisation in fachdidaktische Überlegungen miteinbezogen werden.

Dementsprechend reflektieren die zehn in dem Band versammelten Beiträge ihre jeweilige Fachdidaktik unter drei Fragestellungen: Zum einen wird unter Bezugnahme auf die spezifische Fachwissenschaft die Kritik der fachspezifischen Frauen- und Geschlechterforschung dargestellt.

Forschungsergebnisse beispielsweise der feministischen Theologie und Literaturwissenschaft werden herangezogen, um zu veranschaulichen, dass die jeweilige Fachwissenschaft selbst einem Geschlechter-bias dergestalt unterliegt, dass das Männliche in der Regel als die Norm und das Weibliche als die Abweichung von der Norm begriffen wird. Zum zweiten werden Befunde präsentiert, die auf der Ebene der Unterrichtsinhalte eine Geschlechterdifferenz wahrnehmen und sie zum Gegenstand des Nachdenkens machen. Dabei besteht sowohl die Möglichkeit, Geschlechterstereotypen neu zu produzieren und festzuschreiben als auch die Chance, sie aufzulösen und ihnen entgegen zu wirken. Drittens schließlich thematisieren alle Beiträge die Bedeutung von Sozialisation und fragen nach möglicherweise vorhandenen geschlechtsdifferenten Interessen, Erfahrungen und Lebenswelten und deren Auswirkungen auf den Schul-Unterricht und dessen Erfolge.

Konzentriert auf sozialwissenschaftlich und sprachlich ausgerichtete Disziplinen wird hier erstmalig ein Überblick präsentiert, der einen aktuellen Einblick in den Stand des Geschlechterthemas in ausgewählten Fachdidaktiken gewährt. Dies ist zum einen verdienstvoll, weil in dem vorliegenden Band eine in der Debatte lange Zeit dominierende Tendenz überwunden wird, fachdidaktische Überlegungen zum Thema “Geschlecht” am Beispiel naturwissenschaftlicher und technischer Unterrichtsfächer anzustellen und so erneut, ein geringeres Interesse von Mädchen an diesen Fächern zu einer Abweichung und Besonderung zu machen. Vielmehr kann durch eine Fokussierung auf Fächer, die Sprache und Soziales zum Gegenstand haben, die Frage neu gestellt werden, ob und inwieweit sich im Unterricht geschlechtliche Codierungen, Zuschreibungen oder auch Erfahrungen ausmachen lassen. Es kann deshalb als ein überraschendes Ergebnis dieses Sammelbands gelten, dass alle in dem Band versammelten Beiträge sichtbar machen, dass eine in der Fachwissenschaft etablierte Frauen- und Geschlechterforschung kein Garant dafür ist, dass auch die entsprechende Fachdidaktik sich mit Fragen der Geschlechterdifferenz auseinander setzt.

So theoretisch anspruchsvoll, innovativ und bedeutsam die feministischen Ansätze in z.B. der Germanistik, Anglistik, Geschichtswissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaft auch gewesen sein mögen, die schulische Ausgestaltung dieser Disziplinen als Unterrichtsfächer haben sie nur am Rand beeinflussen können.

Dies ist ein weiteres Argument für ein Verständnis von Didaktik, welches die Orientierung an der Fachwissenschaft zwar als grundlegend aber keinesfalls als hinreichend begreift. Da die Geschlechterperspektive quer zu allen Fragen des schulischen Lehren und Lernens liegt und sich in Inhalten, Sozial-Beziehungen wie auch in Normierungen und Bewertungen aufzeigen lässt, kann sie nur dann Berücksichtigung in der Fachdidaktik erfahren, wenn die Fähigkeit zur Analyse der Bedingungen und der Situationsspezifik von Unterrichts wie auch der biografischen Besonderheiten der Beteiligten als eine zentrale pädagogische Qualifikation begriffen werden. Dazu ist Wissen über die Mechanismen einer allumfassenden “sozialen Konstruktion von Zweigeschlechtlichkeit” (Hagemann-White) genauso nötig wie der politische Wille, Mädchen und Jungen als gleichberechtigt zu begreifen wie auch die Fähigkeit, über die eigene persönliche Verstrickung mit der Thematik zu reflektieren. “Geschlechterperspektiven in der Fachdidaktik” umfassen demzufolge die Thematisierung der gesamten Palette der Wechselwirkungen zwischen Person und Rolle, Lehren und Lernen, Inhalt und Beziehung, Situation und Norm.

In dieser Hinsicht und mit diesem Anspruch beschreiben Rita Burrichter (Religion), Susanne Thurn (Geschichte), Gudrun Spitta (Deutsch), Heidrun Hoppe/Astrid Kaiser (Sachunterricht/Sozial- bzw.

Gemeinschaftskunde), Renate Haas (Englisch), Cornelia Niederdrenk-Felgner (Mathematik), Gertrud Pfister (Sport), Doris Lemmermöhle (Arbeitslehre/Berufsorientierung), Renate Luca (Medienpädagogik) und Petra Millhofer/Renate-Berenike Schmidt (Sexualpädagogik) den Stand der Reflexionen in der jeweiligen Fachdidaktik.

Dabei wird sichtbar, dass diejenigen Themen, die quer zu der herkömmlichen Einteilung in Schulfächern liegen, wie z.B. Medien, Sexualität, Berufsorientierung, sich für die Thematisierung der Geschlechterfrage leichter öffnen lassen. Da der Alltags- und Erfahrungsbezug bei diesen Themen unmittelbar gegeben ist, braucht es für die Plausibilisierung der Geschlechterfrage im berufsorientierenden, sexualpädagogischen oder medienpädagogischen Unterricht weniger argumentativen Aufwand als beispielsweise in den Fachdidaktiken für Englisch oder Politik.

Während sich, wie die Beiträge zeigen, in den Fächern die Macht der Tradition hartnäckig hält – beispielsweise als geschlechtsspezifische Stereotypen hinsichtlich Unterrichtsinteresse und hinsichtlich Arbeitsformen auftaucht und sich daran ablesen lässt, dass sogenannte Frauenthemen häufig als Ergänzung und als partikulares Wissen behandelt werden – haben Themen mit einem deutlichen lebensweltlichen Bezug den Vorteil, dass hier Bedeutung, Funktion und Wandelbarkeit der Kategorie Geschlecht unmittelbar als Thema aufgegriffen und werden kann. Beispielsweise kann im berufskundlichen Unterricht nicht unproblematisiert bleiben, dass die meisten weiblichen Auszubildenden unter den Friseurinnen und die meisten männlichen Auszubildenden unter den Kfz-Mechaniker zu finden sind, während dieser Sachverhalt im Gemeinschafts-. Politik- oder Sozialkundeunterricht im Rahmen einer Arbeitseinheit zum Thema “Arbeit und Beruf heute” durchaus unberücksichtigt bleiben könnte.

Die Fachdidaktiken stehen daher – und das macht dieser Band schlagend deutlich – vor einem doppelten Dilemma: Die fachspezifische Gegenstandsorientierung soll zum einen Bezüge zu den Lebenswelten und Erfahrungen der Lernenden herstellen. Zum zweiten soll sie sich an der Fachwissenschaft orientieren, die es im Singular, als einheitlichen Orientierungsrahmen schon längst nicht mehr gibt. Dieser Schwierigkeit begegnen die Fachdidaktiken, indem sie Prinzipien postulieren, z.B. das Prinzip der Wissenschaftsorientierung oder das der Handlungsorientierung.

Der vorliegende Band plädiert für Geschlechtergerechtigkeit als ein weiteres didaktisches Prinzip.

Darüber hinaus aber drängt sich nach der Lektüre dieses anregenden und gehaltvollen Buches die Frage auf, ob sich diese Prinzipien nicht viel besser jenseits der Fächer realisieren ließen, ob die Fachdidaktiken nicht einer curricularen Festlegung fächerübergreifender Themengebiete wie auch einer systematischen Reflexion situativer Lehr-/Lernbezüge weichen sollten.

“Geschlechterperspektiven” könnten darin als ein didaktisches Element enthalten sein. Dies würde den mühseligen fachinternem Kampf um Anerkennung des Geschlechterthemas zwar nicht überflüssig machen, könnte aber eine didaktische Sensibilität hinsichtlich sozialer Unterschiede und sozialen Unterscheidungen schaffen. Denn diese sind, das zeigen alle Aufsätze des Sammelbandes, stets geschlechtlich codiert.

Katharina Liebsch

­­Acessar publicação original

[IF]

Politische Bildung und Geschlechterverhältnis – OECHSLE; WETTERAU (JESSE)

OECHSLE, Mechtild; WETTERAU, Karin (Hrsg.). Politische Bildung und Geschlechterverhältnis. Opladen: (Verlag Leske + Budrich), 2000. Resenha de: OTTO, Karl A. Wie geschlechtsneutral kann politische Bildung sein? Journal of Social Science Education, n.1, 2000.

Das Buch ist eine “feministische Antwort” auf das – als Provokation empfundene – normativ gemeinte Diktum: “Politische Bildung ist geschlechtsneutral”. Dabei spricht ja doch einiges für dieses Postulat. Eine Orientierung der politischen Bildung an “wesenseigenen” Bedürfnissen und Interessen eines Geschlechts würde eine “naturhafte” (ontologische) Vorstellung von “Geschlechterdifferenz” voraussetzen, die inzwischen niemand mehr vertritt – schon gar nicht die VerfasserInnen dieses Bandes. Eine an fachwissenschaftlichen Kategorien wie Macht, Herrschaft, Interesse, Solidarität, Demokratie, Freiheit und Gleichheit ansetzende politische Bildung muß nicht per se “geschlechtsblind” sein, wenn sie nur hinreichend – d.h. im Hinblick auf reale Diskriminierung samt ihren Bedingungszusammenhängen – problembewußt ist. Der durchaus noch vorhandene “Geschlechterbias” (Auswahl der Inhalte entspricht eher dem Politikverständnis von Jungen, dem Politikverständnis von Mädchen und ihren Interaktionsformen wird nicht die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt) läßt sich auf der Grundlage einer universalistisch konzipierten politischen Bildung sowohl konzeptionell wie unterrichtspraktisch überwinden: Warum auch sollten Mädchen nicht lernen, was Jungen können (sollen)? Eine geschlechterbezogene Normierung könnte sogar eine sozial konstruierte Geschlechterdifferenz verfestigen, die gerade Gegenstand der Kritik ist.

Dennoch ist Anlaß zu kritischem Nachfragen gegeben. Die Zuweisung von ungleichen Chancen auf soziale und politische Teilhabe erfolgt immer noch in gesellschaftlichen Verhältnissen, die in erheblichem Maße durch Geschlechtszugehörigkeit strukturiert werden – und das hat, wie gezeigt wird, immer noch zu wenig bedachte Konsequenzen: Geschlechtsneutral konzipierte Bildungsangebote werden von Jungen und Mädchen nicht in gleicher Weise, sondern geschlechtsspezifisch unterschiedlich wahrgenommen und verarbeitet. Die qua “Geschlecht” vermittelte Selbstwahrnehmung und Identitätsbildung schafft subjektiv und objektiv unterschiedliche Betroffenheit. Eine geschlechtsneutral entfaltete Handlungskompetenz ist nicht unbedingt “verwendungsneutral” in geschlechtlich konnotierten und strukturierten politischen Handlungsfeldern. Analog zum “interkulturellen Verstehen” ist es offenbar notwendig, auch “geschlechtergerechtes Verstehen” zu lernen.

Diese mit zahlreichen Fakten belegten Befunde haben die Herausgeberinnen zu diesem Sammelband inspiriert, der aus einer Ringvorlesung an der Universität Bielefeld und dem dortigen Zentrum für Lehrerbildung hervorgegangen ist. Ihr Anliegen, die bislang vorliegenden geschlechtskritischen Ansätze in der politischen Bildung zu bündeln, weiterzuentwickeln und in den fachdidaktischen Diskurs zu integrieren, wurde auf drei Ebenen realisiert: In einer Zwischenbilanz zur Rezeption der Geschlechterforschung in der Fachdidaktik wird untersucht, welche Relevanz die Kategorien “Geschlecht” und “Geschlechterverhältnis” für die Theorie und Praxis der politischen Bildung haben (Wetterau/Oechsle). Viele Fragen, die sich aus der Defizitanalyse ergeben, werden in einem zweiten Teil aus soziologischer und politikwissenschaftlicher Sicht thematisiert. Umbrüche in den Geschlechterbeziehungen (Angelika Dietzinger), tieferliegende Ursachen der gegen Aufklärungsversuche oft resistenten Vorbehalte gegen die Thematisierung diskriminierender Geschlechterdifferenzen (Michael Meuser), die marginale Rolle von Frauen in der Politik (Beate Hoecker), didaktische Konsequenzen von Paradigmenwechseln in der Geschlechterforschung (Birgit Sauer) und das Geschlechterverhältnis im Spannungsfeld von politischer Regulierung und privater Lebensführung (Sabine Berghahn) werden ebenso untersucht wie – in einem dritten Teil – die daraus ableitbaren didaktischen und z.T. curricularen Konsequenzen (D. Richter, P. Henkenborg, H. Hoppe, B. v. Borries, M. Hempel und S. Arndt). Alles in allem ein Buch, das didaktisch aufschlußreich und weiterführend ist.

Karl A. Otto

Acessar publicação original

[IF]

Politische Bildung und Geschlechterverhältnis – OECHSLE; WETTERAU (JSSE)

OECHSLE, Mechtild; WETTERAU, Karin (Hrsg.). Politische Bildung und Geschlechterverhältnis. Opladen: (Verlag Leske + Budrich), 2000. Resenha de: OTTO, Karl A. Wie geschlechtsneutral kann politische Bildung sein? Journal of Social Science Education, n.1, 2000.

Das Buch ist eine “feministische Antwort” auf das – als Provokation empfundene – normativ gemeinte Diktum: “Politische Bildung ist geschlechtsneutral”. Dabei spricht ja doch einiges für dieses Postulat. Eine Orientierung der politischen Bildung an “wesenseigenen” Bedürfnissen und Interessen eines Geschlechts würde eine “naturhafte” (ontologische) Vorstellung von “Geschlechterdifferenz” voraussetzen, die inzwischen niemand mehr vertritt – schon gar nicht die VerfasserInnen dieses Bandes. Eine an fachwissenschaftlichen Kategorien wie Macht, Herrschaft, Interesse, Solidarität, Demokratie, Freiheit und Gleichheit ansetzende politische Bildung muß nicht per se “geschlechtsblind” sein, wenn sie nur hinreichend – d.h. im Hinblick auf reale Diskriminierung samt ihren Bedingungszusammenhängen – problembewußt ist. Der durchaus noch vorhandene “Geschlechterbias” (Auswahl der Inhalte entspricht eher dem Politikverständnis von Jungen, dem Politikverständnis von Mädchen und ihren Interaktionsformen wird nicht die gleiche Aufmerksamkeit geschenkt) läßt sich auf der Grundlage einer universalistisch konzipierten politischen Bildung sowohl konzeptionell wie unterrichtspraktisch überwinden: Warum auch sollten Mädchen nicht lernen, was Jungen können (sollen)? Eine geschlechterbezogene Normierung könnte sogar eine sozial konstruierte Geschlechterdifferenz verfestigen, die gerade Gegenstand der Kritik ist.

Dennoch ist Anlaß zu kritischem Nachfragen gegeben. Die Zuweisung von ungleichen Chancen auf soziale und politische Teilhabe erfolgt immer noch in gesellschaftlichen Verhältnissen, die in erheblichem Maße durch Geschlechtszugehörigkeit strukturiert werden – und das hat, wie gezeigt wird, immer noch zu wenig bedachte Konsequenzen: Geschlechtsneutral konzipierte Bildungsangebote werden von Jungen und Mädchen nicht in gleicher Weise, sondern geschlechtsspezifisch unterschiedlich wahrgenommen und verarbeitet. Die qua “Geschlecht” vermittelte Selbstwahrnehmung und Identitätsbildung schafft subjektiv und objektiv unterschiedliche Betroffenheit. Eine geschlechtsneutral entfaltete Handlungskompetenz ist nicht unbedingt “verwendungsneutral” in geschlechtlich konnotierten und strukturierten politischen Handlungsfeldern. Analog zum “interkulturellen Verstehen” ist es offenbar notwendig, auch “geschlechtergerechtes Verstehen” zu lernen.

Diese mit zahlreichen Fakten belegten Befunde haben die Herausgeberinnen zu diesem Sammelband inspiriert, der aus einer Ringvorlesung an der Universität Bielefeld und dem dortigen Zentrum für Lehrerbildung hervorgegangen ist. Ihr Anliegen, die bislang vorliegenden geschlechtskritischen Ansätze in der politischen Bildung zu bündeln, weiterzuentwickeln und in den fachdidaktischen Diskurs zu integrieren, wurde auf drei Ebenen realisiert: In einer Zwischenbilanz zur Rezeption der Geschlechterforschung in der Fachdidaktik wird untersucht, welche Relevanz die Kategorien “Geschlecht” und “Geschlechterverhältnis” für die Theorie und Praxis der politischen Bildung haben (Wetterau/Oechsle). Viele Fragen, die sich aus der Defizitanalyse ergeben, werden in einem zweiten Teil aus soziologischer und politikwissenschaftlicher Sicht thematisiert. Umbrüche in den Geschlechterbeziehungen (Angelika Dietzinger), tieferliegende Ursachen der gegen Aufklärungsversuche oft resistenten Vorbehalte gegen die Thematisierung diskriminierender Geschlechterdifferenzen (Michael Meuser), die marginale Rolle von Frauen in der Politik (Beate Hoecker), didaktische Konsequenzen von Paradigmenwechseln in der Geschlechterforschung (Birgit Sauer) und das Geschlechterverhältnis im Spannungsfeld von politischer Regulierung und privater Lebensführung (Sabine Berghahn) werden ebenso untersucht wie – in einem dritten Teil – die daraus ableitbaren didaktischen und z.T. curricularen Konsequenzen (D. Richter, P. Henkenborg, H. Hoppe, B. v. Borries, M. Hempel und S. Arndt). Alles in allem ein Buch, das didaktisch aufschlußreich und weiterführend ist.

Karl A. Otto

Acessar publicação original

[IF]